Unser Beitrag auf der Kundgebung am 20.1.2024

Fast 50.000 Menschen haben heute vor dem Neuen Schloss gegen das Erstarken der Faschist:innen demonstriert. Gemeinsam mit anderen haben wir im Bündnis „Stuttgart gegen Rechts“ die Kundgebung und die anschließende Demonstration organisiert. Es war bundesweit eine der wenigen Veranstaltung, die explizit von einem Bündnis aus gewerkschaftlichen, linken und antifaschistischen Strukturen und nicht von einem regierungsnahen Block organisiert wurde.
Als Offenes Antifaschistisches Treffen haben wir auf der Kundgebung gesprochen. Unsere Rede findet ihr hier:

Hallo Stuttgart,
krass, sind wir viele! Es ist offensichtlich noch nicht zu spät!

Manchmal können schlechte Dinge auch gute hervorrufen. Die von Correctiv veröffentlichten Deportationspläne von AfD, Identitäre Bewegung und „Werteunion“ haben von Berlin bis Köln, von Hamburg bis Stuttgart eine wahrnehmbare Gegenbewegung angestoßen.
Die gesellschaftliche Empörung ist zu Recht groß, der Aufschrei laut. Und bei all dem Schlechten, ist das doch etwas, über das sich alle freuen können … Außer natürlich die Nazis …

Selbst Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock beteiligten sich an einer Kundgebung in Potsdam. Die Pläne von AfD und Co massenhaft Menschen zu deportieren und die Wut darüber in den eigenen Parteien, kann offensichtlich selbst die Bundespolitik nicht ignorieren. Und vermutlich ist die Freude darüber auch bei vielen hier groß. Endlich regt sich was in der Politik.
„Wir müssen unsere Demokratie verteidigen“, lassen Scholz, Baerbock und die anderen aus der Ampel-Spitze immer wieder verlauten.

Wenn wir darüber diskutieren müssten, was Demokratie bedeutet, wär das sicherlich nicht mal eine besonders kontroverse Diskussion. Soziale Gerechtigkeit, gesellschaftliche Teilhabe, Mitbestimmung, eine offene Gesellschaft und solidarisches Miteinander. Darauf können sich wohl die meisten hier, aber auch viele Mitglieder der SPD-Basis und der Grünen-Basis einigen.
Für Scholz und Co, also die Regierungs- und Funktionärsebene genau derselben Parteien aber, scheint Demokratie jedoch gut vereinbar mit Kürzungen im Sozialstaat, Armut, Aufrüstung, Überwachung nach innen, und Abschottung nach außen. Das sehen wir fundamental anders!

Eine solidarische und vor allem gerechte Gesellschaft bedeutet unserer Meinung nach auch, offen für diejenigen zu sein, die vor Hunger, Krieg und Verfolgung eine sichere Zuflucht suchen.
Eine solidarische, eine gerechte Gesellschaft lässt nicht jedes Jahr Tausende im Mittelmeer sterben.
Eine solidarische, eine gerechte Gesellschaft finanziert keine Gefängnisgleichen Lager für Geflüchtete in Libyen oder Griechenland.

In unseren Augen ist es deswegen heuchlerisch, wenn Baerbock die menschenverachtenden Deportationspläne der AfD als Angriff auf „unsere Demokratie“ bezeichnet, während ihre Regierung gleichzeitig beliebige Länder als „sicher“ einstuft, um mehr und mehr abschieben zu können oder – wie erst vorgestern geschehen – einfach die rechtlichen Hürden dafür niedriger macht. Wir erinnern uns nur zu gut an Olaf Scholz auf dem Cover des Spiegels mit dem Zitat „Wir müssen konsequenter abschieben“. Das ist kein halbes Jahr her.
Der Unterschied zwischen den Deportationsplänen der AfD und der „Asylpolitik“ der Regierung ist vor allem, dass den Faschisten egal ist, ob jemand einen deutschen Pass hat oder nicht.

Wenn wir von der Rechtsentwicklung, die wir spätestens seit 2015 beobachten, sprechen, dann können wir nicht nur über die AfD sprechen. Ihr gelingt es die Unzufriedenheit in diesem Land zu kanalisieren und reaktionär aufzuladen. Genau deswegen müssen wir aber darüber sprechen, woher diese Unzufriedenheit kommt.

Wir müssen darüber sprechen, warum viel von Gerechtigkeit die Rede ist, aber die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht.
Wir müssen darüber sprechen, warum die unvorstellbare Zahl von 100 Milliarden in Panzer und anderes Tötungsgerät gesteckt werden, aber für die eigentlich notwendigen Dinge – wie genügend Kita-Plätze, gute Krankenhäuser usw. – kein Geld da ist.
Wir müssen darüber sprechen, warum die großen Konzerne unsere Lebensgrundlage vernichten können, aber wir die Folgen der von ihnen ausgelösten Klimakrise zahlen sollen.
Und ja, wir müssen auch darüber sprechen, ob es nicht Alternativen zu einer Gesellschaftsform, dem Kapitalismus, gibt, die all‘ diese Probleme verursacht und uns außer der nächsten Krise eigentlich nichts zu bieten hat.

Wir müssen darüber reden, weil es die AfD nicht tut. Ihre Antwort ist einfach: Schuld sind die Migrant:innen. Eine Politik der Sündenböcke, eine rassistische Politik.
Wollen wir die Faschist:innen nachhaltig bekämpfen, dann müssen wir solidarische, gerechte, linke Antworten entwickeln, die über die nächste Reform hinausgehen.
Die Zeit sich Gedanken darüber zu machen ist überreif, denn die AfD ist nicht alleine. Die mediale Hetze gegen Geflüchtete oder die Tiraden dieses unsäglichen Christian Lindner gegen Menschen, die von Bürgergeld leben müssen, zeigen: Rechte Krisenantworten haben in allen bürgerlichen Parteien Konjunktur.

Mit dem erwartbaren Ergebnis: Die Versuche der bürgerlichen Parteien mit eigener rechter Politik der AfD die Wähler abzugreifen, schwächen diese nicht, sondern befeuern in erster Linie deren gesellschaftliche Akzeptanz.
Von rechter Realpolitik profitiert am Ende nur das Original: die AfD.

Wenn wir ehrlich zueinander sind – und das sollten wir – ist es nur eine Frage der Zeit, bis es eine Rechtsregierung, vielleicht zuerst auf Landesebene, in Deutschland gibt. Es mögen nur zwei CDU-Mitglieder am Potsdamer Treffen beteiligt gewesen sein, wer Friedrich Merz reden hört oder einen Blick in das neue Grundsatzprogramm der CDU wirft, der/die weiß: Die Vorbereitungen auf Schwarz-Blau laufen auch dort. Wer Merz wählt, wählt Höcke.

Was also tun?

Wenn es eine Erkenntnis aus der Geschichte dieses Landes gibt, dann ist es diese: Faschist:innen – und so muss die Mehrheit der AfD mittlerweile bezeichnet werden – müssen frühzeitig gestoppt werden.
Nie wieder heißt, einschreiten bevor die Menschen mit Fackeln vor Geflüchtetenunterkünften stehen.
Nie wieder heißt, einschreiten, wenn davon gesprochen wird mit Fackeln vor Geflüchtetenunterkünften zu ziehen.

Die Correctiv-Recherche ist – gerade in der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung – für all diejenigen, die seit Jahren gegen die AfD arbeiten, Gold wert. Denn sie hat der breiten Öffentlichkeit den Charakter dieser als „Rechtspopulisten“ verharmlosten Nazis präsentiert. Vermutlich liegt gerade hier die Stärke. Die Art, die Ergebnisse zu präsentieren, lassen kaum jemanden mehr wegschauen. Auch wenn der Inhalt nichts Neues ist. Nicht ohne Grund tritt die AfD selbstbewusst die Flucht nach vorne an: Das, was bei diesem Treffen geplant wurde, sei „kein Geheimnis, sondern ein Versprechen.“

Die Zusammenarbeit verschiedenster rechter bis faschistischer Kräfte, über vermeintliche, aber oftmals nicht vorhandene Organisationsgrenzen hinweg, haben antifaschistische Initiativen und Gruppen bundesweit vor Jahren bereits erkannt, davor gewarnt und dagegen kämpft. Bisher hat das zu wenige Menschen wirklich interessiert. Schön, dass sich das heute ändert.

Es ist ein starkes Zeichen, dass wir heute vor dem Neuen Schloss so viele sind. Aber dabei darf es nicht bleiben. Es reicht nicht, heute hier zu sein oder das Kreuzchen bei der nächsten Wahl woanders zu machen. Es reicht nicht, von Parteiverboten zu reden. Antifaschismus ist keine Aufgabe, die uns irgendwer abnimmt. Antifaschismus darf kein Lippenbekenntnis sein, keine Reaktion auf anlassbezogene Empörung. Antifaschismus muss zur Haltung werden. Antifaschismus muss praktisch werden. Wir alle dürfen nicht nur Flagge zeigen, wir müssen handeln. Das nimmt uns niemand ab. Keine Gerichte, keine Behörden und auch nicht die Polizei.

Vielleicht mal ein Beispiel, um zu verdeutlichen, was wir meinen:
Es ist ein Zeichen, dass über 830.000 Menschen eine Online-Petition unterschrieben haben, um Björn Höcke unwählbar zu machen. Aber: Was wäre, wenn die gleichen Leute anstatt dessen AfD-Infostände und Veranstaltungen verhindern, faschistische Aufmärsche blockieren, für die Schließung rechter Räume demonstrieren oder Nazis im echten Leben bekämpfen würden?
Was wäre, wenn die gleichen Leute in den Betrieben, den Schulen, den Universitäten und anderen Orten antifaschistische Initiativen gründen und proaktiv gegen rechte Ideologie kämpfen würden?

All das – und eigentlich noch viel mehr – wäre notwendig und würde helfen die Rechten und Faschist:innen tatsächlich zurückzudrängen.
Das mag nicht immer einfach sein und manchmal braucht es Mut dazu. Schließlich gibt es eine gesellschaftliche Sympathie für faschistische Politik, Auseinandersetzungen in Familie und Freundeskreis sind vorprogrammiert. Und auch die Polizei – die Stuttgarter ist da leider keine Ausnahme – stellt sich vielen, die konsequent gegen die faschistische Gefahr vorgehen, unter dem Vorwand die Meinungsfreiheit zu schützen, in den Weg. Wir halten dagegen und sagen: Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen!
Deswegen: Solidarität mit allen, die wegen ihres notwendigen antifaschistischen Engagements verfolgt und kriminalisiert werden!

Um auf den Punkt zu kommen: Am konkreten Tun führt kein Weg vorbei. Und: Je mehr Menschen es ernst meinen mit dem Kampf gegen die Faschist:innen, desto größer ist die Chance, dass wir gemeinsam erfolgreich sind.
Erst vergangenen Montag haben wir durch gemeinsame Proteste in Mühlhausen dafür gesorgt, dass ein Wirt der Jugendorganisation der AfD, bereits vermietete Räume gekündigt hat. Haben Nazis keine Räume, müssen sie im Schneeregen diskutieren. Oder sie lassen es sein. Darum geht es.

Jetzt ist die Zeit sich mit anderen zusammenzuschließen und einzuschreiten. Bevor und nicht erst, nachdem die AfD ihre Pläne umgesetzt hat.

Alle zusammen gegen den Faschismus!