Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
wir stehen heute am Ort der ehemaligen Synagoge nicht alleinig unseres Gewissens wegen. Die Erinnerungskultur, wie wir sie hier in Cannstatt mit anderen organisieren, ist Teil unseres antifaschistischen Selbstverständnisses und Grundlage für die aktuellen Herausforderungen. Wenn wir sagen „Erinnern heißt Kämpfen“, dann meinen wir, dass wir aus der Geschichte lernen wollen und versuchen Bezüge zum Jetzt und Hier herzustellen. Wer sich die Straße und Parlamente in diesem Land anschaut, weiß dass das aktuell so notwendig ist wie lange nicht.
Doch was heißt es heute gegen Rechts zu kämpfen? Wie müssen wir kämpfen, wenn der Gegner mit Rückenwind einen Sieg nach dem anderen einfährt? Reicht es aus den Rechten die Straßen und die Parlamente streitig zu machen? Was müssen wir tun um Ereignisse wie im November ’38 zu verhindern?
Es sind diese Fragen die uns als antifaschistische Bewegung beschäftigen und die wir auch am heutigen Abend in unser Gedenken einfließen lassen sollten. Ohne den Anspruch zu erheben, eine allumfassende Antwort geben zu können, wollen wir an diesen Ort einige Gedanken und Erfahrungen in unser Gedenken einfließen lassen.
Antifaschismus heißt für uns, keinen Meter Preis zu geben:
Natürlich ist es müßig jedes Mal wenn sich die Rechten ankündigen Widerstand zu organisieren. Aber: Es ist richtig. Und: Es ist eine der unabdingbaren Aufgaben unserer Bewegung.
Wie oft haben wir gerade in den 2000er Jahren gegen die damals noch seltenen rechten Aufmärsche von Kameradschaften und NPD mobilisiert und wie wichtig waren genau diese Mobilisierungen um den Strukturen der Faschisten ein Wachstum zu verunmöglichen.
Nur weil eine gesellschaftliche Entwicklung für Dynamik bei den Rechten sorgt, sollten wir als antifaschistische Bewegung nicht auf bewährten Widerstandsformen aus den vergangenen Auseinandersetzung verzichten. Im Gegenteil. Viele unserer Erfahrungen aus dem Kampf gegen NPD und Co. lassen sich auf die aktuellen Herausforderungen übertragen.
Wenn sich Rechte ankündigen, dann überlassen wir ihnen nicht die Straßen und Plätze unserer Städte oder die Gaststätten in unseren Vierteln.
Dass die Linke aktuell keine gemeinsame Antwort auf die Folgen der kapitalistischen Krise findet und die Rechten so im Aufwind sind, daran lässt sich allein mit einer abgesagten oder blockierten AfD-Veranstaltung nichts ändern. Trotzdem sind es genau die Proteste, Blockaden und der alltägliche Widerstand der in unsere Bewegung positiv hineinwirkt, Menschen aktiviert und politisiert. Und es sind diese Ereignisse die dafür sorgen, dass die Rechten eben nicht ungehindert agieren und ihre Strukturen weiter aufbauen können.
Antifaschismus bedeutet viele Menschen für den Kampf gegen Rechts zu gewinnen:
Wir müssen viele sein, um rechten Events flächendeckend mit entschiedenem Widerstand zu begegnen oder in den gesellschaftliche Diskurs zu intervenieren. Für einen nachhaltigen Antifaschismus ist es gerade deswegen unabdingbar, andere gesellschaftliche Gruppen und Kräfte zu sensibilisieren und in den Kampf gegen Rechts einzubeziehen. Das darf, eben wegen der zunehmenden Stärke der Rechten, in unseren Augen aber nicht willkürlich und kopflos passieren.
Gerade der Blick zurück, in die 20er und 30er, zeigt doch: Die so oft geforderte „Zivilgesellschaft“, die heute auch von antifaschistischen Kräften als Heilsbringer angeführt wird, ist auf dem Weg in den Faschismus als politische Kraft von den Ereignissen aufgefressen worden. Sie war nicht in der Lage die gesellschaftliche Rechtsentwicklung aufzuhalten.
Wenn wir heute erinnern, dann auch um aus den Ereignissen damals die richtigen Schlüsse für den Kampf heute zu ziehen. Genau deswegen tun wir nicht gut daran unser alleiniges (!) antifaschistisches Engagement auf die Mobilisierung genau jener, oft fälschlicherweise als „Mitte der Gesellschaft“ bezeichneten, Schicht zu setzen. Vielmehr sollte es in unseren Augen darum gehen die gesellschaftliche Polarisierung auf Basis der langjährigen Erfahrungen und Erkenntnisse im antifaschistischen Kampf zu nutzen.
Wir setzten daher ganz bewusst darauf, mit klaren Vorstellungen und Angeboten in die gesellschaftliche Anti-Rechts-Dynamik hineinzuwirken. So können wir mit den Menschen, die berechtigte moralische Empörung über Rassismus und rechte Hetze in ein breit aufgestelltes aber klares und nachhaltiges Engagement gegen AfD und Co. umzumünzen.
Antifaschismus muss konkret & konsequent sein:
Dass sich die Dynamik, mit der sich die Sache aktuell nach Rechts, entwickelt nicht mit bloßen Lippenbekenntnissen aufhalten lässt dürfte hier allen klar sein. Ebenso selbstverständlich dürfte sein, dass wir ganz unmittelbar aktiv werden müssen und uns solidarisieren müssen wenn Menschen aufgrund ihres Aussehens oder Herkunft angegriffen werden. Aber: Beides reicht natürlich nicht aus um den Kampf gegen Rechts zu gewinnen.
Ganz bewusst verwenden wir für diese Auseinandersetzung den Begriff des Kampfes. Nicht etwa weil wir so erpicht auf eine Militarisierung dieses Konfliktes wären, sondern weil es eben um eine vielschichtige Auseinandersetzung geht an deren Ende natürlich die unmittelbare Schwächung und das Zurückdrängen rechter Kräfte steht. Die Notwendigkeit auf verschiedenen Ebenen zu handeln ergibt sich eben genau aus dieser Zielsetzung.
Dass Faschisten und Rechtspopulisten konkreten Gegenwind erfahren, ist in unseren Augen nötig wenn es darum geht, geistige und handfeste Brandstifter in die Schranken zu weisen. Die Mittel dieses Kampfes können sich logischerweise nicht an den Vorstellung eines Staates und seiner Institutionen orientieren, der den NSU hervorgebracht hat und nach ’45 die Faschisten in Justiz, Geheimdienst und Polizeiapparat integrierte.
Flagge zeigen und mehr zu sein reicht einfach nicht aus. Bei aller Euphorie von #wirsindmehrund Co. ist uns doch allen bewusst, dass ein Hashtag zwar für kurze Zeit die Medien bestimmen kann, letztlich aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Das Problem ist ja nicht, dass es zu wenig greifbare Kritik an der Rechtsentwicklung gibt. Das Problem ist, dass es keinen flächendeckenden konsequenten Kampf gegen Rechts gibt und das wir den Menschen noch nicht genügend Alternativen jenseits von Hetze und Rassismus bieten können.
Antifaschismus ist aktueller denn je:
In Zeiten der Krise gilt es einmal mehr, alles dafür zu tun, damit die Menschen, die berechtigte Ängste haben nicht den Rechten auf den Leim gehen. Antifaschistisch zu kämpfen bedeutet ganz direkt darüber aufklären, dass rechte Politik keine Verbesserung für den Großteil der Menschen bringt, sondern die sozialen Probleme weiter verschärft.
Geflüchtete und andere gesellschaftliche Minderheiten sind weder Ursache noch Auslöser von gesellschaftlichen Missständen. Es ist die Form wie diese Gesellschaft aufgebaut und organisiert ist, nämlich nach kapitalistischen Prinzipien. Das dürfen wir nie vergessen.
Schließlich war es genau diese Gesellschaftsform und ihr Streben nach Profit, die den deutschen Faschismus und damit auch die Ereignisse vom 9. November 1938 möglich gemacht hat.
Wenn wir daran erinnern, dann natürlich um im Hier und Heute zu kämpfen. Gegen die Hetze von Rechts, aber auch für eine andere, eine solidarischere Gesellschaft. 20 Jahre vor den Novemberpogromen ist der Aufbruch für eine ebensolche Gesellschaft in Deutschland gescheitert. Die Revolution im November 1918 war der Versuch, den Nährboden für rechte Politik auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Dass das nicht gelungen ist, heißt noch lange nicht das es nicht möglich ist. Notwendig ist es in Anbetracht der weltweiten Rechtsentwicklung allemal.
Es ist an uns allen, jeden Tag entschieden gegen Rechts und für eine bessere Welt zu kämpfen. Danke, dass ihr gekommen seid und danke für euere Aufmerksamkeit!