Blockaden gegen Querdenken in Stuttgart am 3. April 2021

Querdenken kehrt an den Ort seiner Entstehung zurück. Nachdem sich die Bewegung im Sommer letzten Jahres aus Stuttgart eher zurückgezogen hatte, um ihren „Protest“ im Bundesgebiet zu streuen, stand heute zum ersten Mal wieder eine größere Mobilisierung in Stuttgart an. Für uns war klar, dass wir darauf reagieren müssen – zumal die Querdenkenbewegung wieder Anziehungspunkt für organisierte Rechte und Nazis wurde und sich in Teilen radikalisiert hat (siehe Kassel). Dass Stadtverwaltung und Polizei keine Anstalten machten, dem rechtsoffenen Treiben den Riegel vorzuschieben, ist für uns nichts Neues.

Die Ausgangslage

Ganz Deutschland hat in den letzten Wochen und Monaten gesehen, wie tausende Menschen unter Missachtung aller Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung durch verschiedene Städte Deutschlands gezogen sind. Immer wieder wurde gefragt, warum die Polizei nicht einschreitet, sondern lieber den Gegenprotest von der Straße prügelt – und die rechtsoffenen Querdenker somit hofiert. In Stuttgart wurde die Antwort bereits im Vorfeld geliefert: Statt sich hinterher zu rechtfertigen und ein Polizeiversagen eingestehen zu müssen, wurde bereits im Vorfeld eine Argumentationslinie verbreitet, die vollkommene Zurückhaltung erklären sollte. Dazu stellte sich Einsatzleiter Höfler vor die Kamera und erzählte was von dicht gedrängten Menschen, die sich noch dichter drängen, wenn die Polizei einschreiten würde. Man werde sich deswegen auf die zu erwartenden Gegenproteste konzentrieren. Das Video wurde am 1. April veröffentlicht. Wie passend.

Der Plan

Wir wollen uns an dieser Stelle nicht einfach nur an der Einstellung der Polizei abarbeiten. Dass die Cops keinerlei Interesse daran haben, rechtsoffene Organisationen nachhaltig zu bekämpfen zeigt sich nicht erst seit Querdenken. Härtere Polizeieinsätze und die Beschränkung der Versammlungsfreiheit, wie sie unverhohlen von den Oberen der Stadt Stuttgart in einer jüngsten Pressemitteilung gefordert werden, lösen das Querdenken-Problem nicht! Es muss deswegen darum gehen eine selbstorganisierte und vielschichtige Bewegung gegen das rechte Treiben auf die Straße zu bringen.

Kassel, Leipzig und Berlin haben gezeigt, wie Städte durch die Querdenken-Bewegung „geflutet“ werden und wie machtlos die Gegenmobilisierungen der reaktionären Masse gegenüber stehen. Wir haben uns deswegen im Vorfeld viele Gedanken über die Form unseres Gegenprotests gemacht. Stationäre Protestkundgebungen zur Aufklärung über die Zusammensetzung der Querdenker, wie sie im letzten Jahr noch angebracht waren, sind nicht mehr das gebotene Mittel. Auch haben wir schon früh das zahlenmäßige Potential so eingeschätzt, wie es sich heute bewahrheitet hatte und haben im Gegensatz zur Polizei unseren Plan angepasst, um den Fokus weiterhin darauf legen zu können, es den Rechten – und der Querdenken-Bewegung als Ganzes – so unbequem wie möglich zu machen. Um dazu möglichst flexibel zu sein, riefen wir dazu auf, bei bestem Frühlingswetter die Fahrräder aus dem Keller zu holen und am Vormittag in die Innenstadt zu kommen. Wer kein Fahrrad hat, konnte sich zu Fuß dem Protest anschließen.

Die Gegenseite

Querdenken, als Sammelbecken für Nazis, Identitäre, Esoteriker, Impfgegner und allerlei andere Personengruppen mit fragwürdiger Einstellung, schaffte es zu den letzten Großdemonstrationen mehrere zehntausend Menschen zu mobilisieren. Die Veranstalter distanzieren sich halbgar von genanntem Klientel, akzeptieren aber das Zeigen von antisemitischer Symbolik, Reichsflaggen und scheinen auch kein Problem mit entsprechenden Redebeiträgen zu haben.

In Stuttgart wurden für den 3. April mehrere Kundgebungen angemeldet, die alle in einer Großveranstaltung auf dem Wasen in Cannstatt gipfeln sollten. Dazu war ein großer Demo-Zug geplant, der einmal quer durch die ganze Stadt führen sollte und an dem sich alle Einzelkundgebungen anschließen können.

Die Polizei hatte sich ja im Vorfeld ihre Ausreden bereits zurecht gelegt und auch alles daran gesetzt, das Gefahrenpotential durch Querdenker klein zu reden. So gingen sie im Vorfeld davon aus, dass bis zu 2.500 Personen zu den Protesten kommen werden. Nicht das erste Mal, dass die Einschätzungen der Polizei weit an der Realität vorbei gehen sollten. Letzten Endes zogen am 3. April 2021 mehr als 20.000 Personen unter dem Querdenken-Label durch Stuttgart.

Die Umsetzung

11:30 Uhr am Karlsplatz: Über 200 Menschen sitzen auf Fahrrädern oder schieben sie zum Treffpunkt, weitere 150 AktivistInnen sind zu Fuß gekommen. Unter den Fußgängern wurden noch Personen gesucht, die sich vorstellen konnten, die extra angefertigten, großen „FUCK QUERDENKEN“ Buchstaben zu tragen. Die Personen waren schnell gefunden, leider sollten die Schilder nie am Treffpunkt ankommen. Die Personengruppe, die die Schilder zum Treffpunkt bringen wollten, wurden auf dem Weg von Cops abgefangen, die Schilder beschlagnahmt und die AktivistInnen mit Platzverweisen belegt. Der Grund? Der Durchmesser der Stäbe sei zu groß.

Nachdem wir leider auf diese Form des Ausdrucks verzichten mussten, startete der Fahrrad-Konvoi. Einmal abgebogen, am Wilhelmsplatz und der dortigen Querdenker-Kundgebung vorbei die B14 hoch und schon war der erste Blockadepunkt erreicht. Die B14, bzw. Hauptstätter Straße, ist eine der zentralen Verkehrsadern Stuttgarts und war für heute extra gesperrt. Der Plan, den rechtsoffenen Demozug hier zu blockieren, ging voll auf. Zwar war innerhalb kürzester Zeit der komplette Blockadepunkt von einer Hundertschaft der Polizei umstellt, jedoch war auch klar, dass hier heute niemand durchkommen sollte. So mussten auch die vom Wilhelmsplatz kommenden Querdenker direkt wieder umdrehen und konnten nicht auf direktem Wege dem Demonstrations-Auftakt am Marienplatz anschließen.

Und auch eben dieser Haupt-Demonstrationszug wurde vom Marienplatz aus in die parallel verlaufende Tübinger Straße umgeleitet. Weil eins zum andern kommt, richteten hier die Fußgänger ihren Blockadepunkt ein. Die Querdenker mussten also ein zweites Mal umgeleitet werden.

Noch während die Demo an unseren Blockadepunkten vorbeigeleitet wurden, zogen die Cops den Kreis um die Fahrradfahrer enger. Die Ansage, einen alternativen Versammlungsort für alle bereitzustellen entpuppte sich als Farce, als kurz darauf die Tische für die Identitätsfestellungen aufgebaut wurden. Im Folgenden wurden alle Anwesenden Radfahrer durchsucht und bekamen einen Platzverweis für Innenstadt und Wasengelände.

Auch die Fußgänger erwartete selbige Prozedere, jedoch zeigte sich hier vorher noch deutlicher, wo die Prioritäten der Stuttgarter Polizei liegen: So wurde der Kessel unvermittelt von zwei Seiten angegriffen, um wenige Meter Polizei-Terrain gut zu machen und zwei rote Fahnen sicherzustellen. Dabei wurde ein junger Aktivist so verletzt, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Während die Querdenker also ungehindert laufen dürfen, wird ein bereits bestehender Kessel mit Gewalt noch weiter traktiert.

Das Fazit

Das reine – und letztlich nicht wirklich überraschende – Zahlenverhältnis machte es zur Illusion, die Demonstration der Querdenker am heutigen Tag durch antifaschistische Proteste tatsächlich zu stoppen. Dementsprechend lag unser Fokus darauf, es den Querdenkern so schwer wie möglich zu machen, durch Stuttgart zu kommen und Widerstand gegen die rechtsoffene Massenbewegung sicht- und wahrnehmbar zu machen. Wir können sagen, dass uns zumindest dieses niedrig gesteckte Ziel in Teilen gelungen ist. Zwar endeten jeweils die ersten Blockadeversuche des Tages bereits in stundenlangen Kesseln, jedoch musste dadurch der Querdenken-Aufzug zweimal umgeleitet werden und konnte nicht wie geplant den direkten Weg über die Stadtautobahn zum Wasen ziehen. Wir können und müssen das zumindest als Teilerfolg werten. Auch wenn an dieser Stelle klar gesagt werden muss: 350 Menschen bei Protesten gegen ein rechtes Riesenevent können auch in Pandemie-Zeiten nicht unser Anspruch sein!

Solange die Polizei Herzchen und Handshakes mit Rechten austauscht, anstatt zu agieren, wie von linken Demonstrationen gewohnt, ist eine vollumfängliche Blockade der Querdenker utopisch. Dass der neu ernannte Ordnungsbürgermeister Stuttgarts sich lieber den Kessel der FahrradfahrerInnen ansieht, anstatt danach zu schauen, wie seine Polizisten mit Nazis und Holocaust-Verharmlosern umgehen, verdeutlicht die politische Agenda. Für uns bleibt festzuhalten, dass wir uns von den Zahlenverhältnissen des Tages nicht einschüchtern lassen dürfen – und werden! Sondern dass wir unsere Planungen und Strategien anpassen und unsererseits daran arbeiten müssen, künftig mehr zu sein!

Weil es notwendig ist.
Antifascist Action!