So sehr die Stadtverwaltung am Freitag (18.9.2020) bemüht war der AfD im Stuttgarter Rathaus den roten Teppich auszurollen – so schwungvoll zogen die antifaschistischen Proteste ihr diesen Teppich unter den Füßen weg. Mehr als 250 Menschen beteiligten sich an den vielfältigen Protesten gegen die Saalveranstaltung mit Alice Weidel und Markus Frohnmaier. Die meisten GegendemonstrantInnen kamen zu einer gemeinsamen Kundgebung des Bündnisses „Stuttgart gegen Rechts“ und beteiligten sich im Anschluss an spontanen Demonstrationen und Blockadeversuchen rund um das Rathaus. Einigen AktivistInnen gelang es im Gebäude die Saaltüre zum AfD-Veranstaltungsraum mit einer Sitzblockade knapp 45 Minuten zu verschließen.
Der Hintergrund
Nachdem bereits vor etwas mehr als einer Woche der faschistische Flügel des Stuttgarter Kreisverbands, um den Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel, im Stadtteil Weilimdorf eine städtische Schulhalle nutzen konnte, zog am Freitag auch die AfD-Gemeinderatsfraktion nach. Im großen Sitzungssaal des Rathauses war mit der Landesvorsitzenden Alice Weidel eine Vertreterin des neoliberalen Flügels geladen. Weidel hatte sich erst beim vergangenen Parteitag in einer knappen Entscheidung gegen Spaniel durchgesetzt. Es ist darum davon auszugehen, dass die kurz aufeinanderfolgenden AfD-Veranstaltungen verschiedener Partei-Ebenen auf die innerparteilichen Auseinandersetzungen zurückzuführen sind.
Die Stadt
Von „nicht vorhandenem Willen, dem rechten Treiben etwas entgegenzusetzen“ zu sprechen, greift noch zu kurz: Die Stadtverwaltung hat nahezu alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Rechtspopulisten eine möglichst reibungslose Veranstaltung zu ermöglichen. Wie es in Stuttgart leidige Tradition ist, verschwieg die Verwaltung die Nutzung des Sitzungssaales durch die AfD – erst die öffentliche Bewerbung durch den AfD-Landesverband machte das Treffen der Rechtspopulisten publik. Doch damit nicht genug: Bereits am Nachmittag wurde das Stuttgarter Rathaus vorzeitig geschlossen und zur Polizeifestung umgebaut. Für den gesamten Nachmittag wurden alle weiteren Säle und Besprechungsräume im größten Verwaltungskomplex der Landeshauptstadt gesperrt. Und das obwohl die Corona-Regelungen zur Rathaus-Belegung aktuell nur interne Sitzungen mit sehr beschränkenden Auflagen vorsieht, und keine öffentlichen Veranstaltungen.
Der Freitag
Auch hier blieben Polizeiführung und Stadtverwaltung ihrer Linie treu: Das Problem sind für sie nicht Rassisten und Nazis, sondern Menschen, die darauf aufmerksam machen und Widerstand dagegen organisieren. Lange verweigerte das Stuttgarter Ordnungsamt eine Protest-Kundgebung in Hör- und Sichtweite des Rathauses. Erst am Tag vorher lenkte die Behörde ein und gewährte dem Bündnis gegen Rechts eine schmale, von Bauabsperrungen umgebene Straßenfläche gegenüber des Rathauses.
Die halbstündige Kundgebung war gemeinsamer und inhaltlicher Ausdruck der antifaschistischen Proteste des Abends. In Redebeiträge von Janka Kluge (VVN-BdA) und Claudia Häussler (ver.di Stuttgart) wurde ausgeführt, weshalb die AfD vieles, aber keine „Alternative“ für Lohnabhängige ist. Außerdem wurde ihre bevorstehende Veranstaltung als Versuch gewertet, an die verschwörungstheoretische und nach rechts weithin offene Straßenbewegung der Corona-LeugnerInnen rund um „Querdenken“ anzuknüpfen.
Als Antifaschistisches Aktionsbündnis (AABS) verwiesen wir anstelle der vorbereiteten Rede lediglich auf unser monatliches offenes Treffen, um die Kundgebung nicht über den geplanten Einlassbeginn der Rechten hinaus in die Länge zu ziehen und den versammelten AntifaschistInnen die Entscheidung zwischen weiteren Worten oder drängenden Taten zu ersparen.
So zogen dann auch nahezu alle KundgebungsteilnehmerInnen in einer spontanen Demonstration in Richtung Rathaus. Gehetzte und sichtlich aggressive Polizeieinheiten versuchten den Zug immer wieder aufzuhalten oder abzudrängen und setzten dazu auch Schlagstöcke und scheuende Pferde ein. Mit etwas Pfiff bahnten sich die Menschen immer wieder ihren Weg und gelangten so zuerst auf die Rathaus-Rückseite, wo bereits während der Bündniskundgebung AntifaschistInnen von der Polizei festgesetzt wurden. Anschließend ging es gemeinsam zurück zum Marktplatz, von wo aus die lautstarken antifaschistischen Parolen bis hinauf ins Foyer des großen Sitzungssaals zu hören waren.
Im Rathaus
Einigen AktivistInnen ist es gelungen, trotz Polizei, Rathaus-Ordnerdienst und ausgewiesenen LKA- sowie BKA-„Sicherheitskräften“ ins Rathaus zu kommen und pünktlich zum angedachten Einlass den Zugang zum großen Sitzungssaal zu blockieren. Die Sitzblockade konnte über eine halbe Stunde gehalten werden, sodass sich die sichtlich verwirrten AfDler zunächst im Foyer die Beine in den Bauch standen, bis sie vom Ordnerdienst über den Catering-Zugang in einem anderen Stockwerk in den großen Saal gelotst wurden.
Eine extra beorderte Polizeistaffel löste die Blockade letztlich nach und nach auf – sonderlich geübt schien sie dabei allerdings nicht. Sichtlich genervt konnten sie nicht ihre „Standards“ auspacken (Pfefferspray und Losknüppeln). Sie stellten sich beim Auflösen der Blockade so ungeschickt an, dass sie auf die BlockiererInnen fielen und auch die Koordination der „Betreuung“ von bereits Abgeführten brachte sie in die Bredouille.
Fazit
Von ‚Alltag in einer Landeshauptstadt‘ und ‚politischer Normalität‘, erstrebte Ziele der sich bürgerlich gebenden Rechten, war der gestrige Abend weit entfernt: Angefangen damit, dass sich Parteigliederungen mit immer komplexeren Anmeldeverfahren für ihre öffentlichen Veranstaltungen überbieten, stets eigene Securitys anheuern und Taschenkontrollen am Einlass durchführen lassen, um Störaktionen zu verhindern. Über die massive Polizeipräsenz, die AfD-Veranstaltungen in Stuttgart mittlerweile kennzeichnet. Bis hin zu den Protesten rund um die Austragungsorte, die eine Teilnahme an AfD-Veranstaltungen regelmäßig zum Spießrutenlauf machen.
Können wir rechte Saalveranstaltungen – beim aktuellen Durchsetzungswillen von Polizei und grün geführter Stadtverwaltung – zwar seltenst gänzlich verhindern, so können wir mit den beschriebenen Zuständen aktuell zufrieden sein. Sie sind die Messlatte, die es zu halten gilt: Den rechten Hetzern keine Ruhe, keinen Raum und keine Entfaltungsmöglichkeiten kampflos überlassen!