Am Freitag, den 28. März stand ein Antifaschist wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung, Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz, Störens von Versammlungen und des Mitführens von Waffen auf Versammlungen vor dem Amtsgericht Stuttgart. Laut Anklage soll er im Sommer 2012 eine Tränengasgranate in eine NPD-Kundgebung geworfen haben. Er wurde zu sechs Monaten Gefängnis auf zwei Jahre Bewährung und einer Geldstrafe von 800 Euro zuzüglich der Gerichtskosten verurteilt.
Hintergrund
Am 30. Juli 2012 versuchte die NPD, im Zuge einer bundesweiten Kundgebungs-Sommertour zum ersten Mal seit 2006 wieder öffentlich in der Stuttgarter Innenstadt aufzutreten. Das Vorhaben der Faschisten wurde durch mehrere hundert NazigegnerInnen lautstark und vielseitig gestört. Die Polizei schützte 14 Nazis mit rund 600 Beamten, und setzte gewaltsam einen Teil der Hetzkundgebung durch. Sie gingen brutal gegen die GegendemonstrantInnen vor und verletzten diese teils schwer. Über 50 AntifaschistInnen wurden über mehrere Stunden ohne Angabe von Gründen am Rotebühlplatz in „Freiluftgewahrsam“ genommen.
Kundgebung vor Prozesssbeginn
Vor der Gerichtsverhandlung versammelten sich ca. zwanzig AntifaschistInnen zu einer Kundgebung. Sie trafen sich genau an dem Ort, an dem am 30.07.2012 die NPD ihre Kundgebung abhielt. Mit Transparenten, Redebeiträgen und Flyern wurde auf die Notwendigkeit und Legitimität von antifaschistischer Arbeit aufmerksam gemacht. Die Polizei war mit drei Fahrzeugen und einigen Beamten im Einsatz. Die Polizei filmte die Kundgebung mit der Begründung, dass in einem Redebeitrag zweimal das Wort „Bullen“ vorgekommen sein soll. Augenscheinlich wurde hier allerdings nur ein Grund gesucht, um die Kundgebung zu filmen. Denn „Bullen“ alleine sind kein Grund, um eine Kundgebung zu filmen.
Prozess
Laut Staatsanwaltschaft soll der angeklagte Antifaschist eine Tränengasgranate in besagte NPD-Kundgebung geworfen haben, wonach diese einige Minuten unterbrochen werden musste. Drei Polizeibeamte und zwei NPD-Demonstranten sollen leicht verletzt worden sein. Sie klagten über ein brennendes Gefühl auf der Haut und in den Augen sowie Hustenreiz. In diesem Zusammenhang wurde dem Angeklagten von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft vorsätzliche gefährliche Körperverletzung, Verstoß gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz, Stören von Versammlungen und das Mitführen von Waffen auf Versammlungen vorgeworfen.
Unter den geladenen Zeugen befand sich ein Polizist, der unter anderem einen Strafantrag wegen Körperverletzung gestellt hatte, brisanterweise hatte er dies über die lange Zeit vergessen. Dieser Polizist tritt häufig in Verfahren gegen Antifaschisten als Zeuge auf. Er gab vor Gericht an, nicht gesehen zu haben, wer die Gasgranate geworfen hatte. Der Stuttgarter Staatsschutz habe diesen später jedoch anhand polizeilicher Videoaufnahmen identifiziert. Darauf sei deutlich zu sehen, wie zwei Personen ihre schwarzen Jacken auszogen und in einer Tasche verstauten.
Der ermittlungseifrige Beamte wollte dem Gericht sein Beweismaterial auf seinem eigens mitgebrachten Laptop zeigen. Dieses Vorhaben scheiterte kläglich am mehrmaligen Versuch, das richtige Passwort einzugeben. Letztendlich spielte die Richterin das Video auf dem gerichtseigenen PC ab. Die etwa dreißig antifaschistischen ProzessbeobachterInnen hatten trotz des öffentlichen Prozesses keinen Einblick in das angebliche Beweismaterial.
30 Sekunden Atemnot
Über Reizhusten und „temporäre Atemnot“ klagten die Beamten, die Strafantrag gestellt haben. „Es war nicht so, dass der Kreislauf in Gefahr war, aber halt schon sehr unangenehm,“ so einer der geladenen Zeugen.
Auf die Frage von Verteidiger Christos Psaltiras, ob der Polizeibeamte wisse, wie eine solche Gasgranate funktioniert, bejahte dies ein anderer Zeuge. Das sei Teil der Ausbildung so der Kriminalbeamte. Der Zeuge bestätigte weiterhin, dass CS-Gas auch von der Polizei eingesetzt werde und unter anderem auch bei Wasserwerfereinsätzen beigemischt würde. Seine beiden verletzten Kolleginnen habe er nicht in der Nähe der NPD gesehen. Auf die rechtsanwaltliche Nachfrage, ob sich bei der Polizei jemand darüber Gedanken mache, ob der Einsatz von Pfefferspray und ähnlichen Stoffen Auswirkungen auf unbeteiligte DemonstrantInnen hat, antwortete der Beamte, dass er darüber keine Kenntnis habe.
Professionelles Vorgehen vs. kriminelle Energie
Die Staatsanwältin Neumann sah alle Anklagepunkte als erwiesen an und gab an, sie habe keine Zweifel daran, dass es der Angeklagte gewesen sei, der hinter dem Transparent gestanden und geworfen habe. Sie beantragte eine zehnmonatige Gefängnisstrafe, die auf zwei Jahre Bewährung ausgesetzt werden könne. Darüber hinaus beantragte sie eine Geldstrafe von 1300 Euro und die Auferlegung der Gerichtskosten. Der Aktivist habe eine „erhebliche kriminelle Energie“.
Im Schlussplädoyer wies Verteidiger Psaltiras darauf hin, dass diese Verletzungen im untersten Bereich geblieben sind. Der Polizeibeamte hatte sich nicht einmal mehr daran erinnern können, einen Strafantrag gestellt zu haben, dann können die Auswirkungen ja nur relativ gering gewesen sein. 30 Sekunden Husten, gerötete Augen, kurze Atembeschwerden, keine Arztbesuche, keine Dienstunfähigkeit, reines Unwohlsein. Allenfalls könne es sich um eine einfache Körperverletzung handeln. Tat- und schuldangemessen sei dabei eine Geldstrafe.
Vor der Urteilsverkündung hielt der angeklagte Genosse eine politische Erklärung, die in langanhaltendem Beifall der ZuhörerInnen endete. Das Urteil der Richterin Reschke-Bruckmaier lautete „schuldig in allen Anklagepunkten“. Das Strafmaß umfasst sechs Monate Gefängnis auf zwei Jahre Bewährung und einer Geldstrafe von 800 Euro zuzüglich aller Gerichtskosten. Entlastend habe sie berücksichtigt, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei. Der Angeklagte sei schon „profimäßig vorgegangen“. Eine „kriminelle Energie will ich das aber nicht nennen,“ so die Richterin. Das Urteil solle den Angeklagten davon abhalten, zukünftig weitere Straftaten zu begehen. Davon sei sie auch bis zur Verlesung seiner Schlusserklärung überzeugt gewesen. Aber sie habe Verständnis für seine Motivation. Das gebe ihm aber nicht das Recht, andere Menschen anzugreifen.
Wir sagen: Antifaschismus ist und bleibt legitim!